Oftmals denken wir, Fortbewegung muss schnell sein, damit sie gut für unsere Gesundheit ist. Welch ein Irrtum. Tatsächlich ist das gemütliche Gehen eine Wohltat für Körper und Geist
Jedes Mal, wenn ich in Marokko bin, brauche ich ein paar Tage, bis sich meine Geh-Gewohnheiten anpassen. Von dem schnellen Schritt, mit dem ich hier in die Arbeit und zum Einkaufen hetze – und der selbst bei ei- nem Spaziergang nicht wirklich nachlässt, zu einem bewussteren, deutlich langsameren Gehen. Das liegt nicht nur daran, dass ich weniger eingespannt bin, sondern auch – ganz banal – an den schlechten Straßen und Wegen, die zu vorsichtigem Ausschreiten zwingen. Und noch etwas fällt mir auf: Während selbst im schönen München die Straßen nach Geschäftsschluss bis auf wenige Ausnahmen leer sind, füllen sie sich im Süden abends mit Familien und Freundesgruppen, die dort fröhlich plaudernd flanieren.
Sie merken schon: Flanieren, spazieren, promenieren oder gar lustwandeln – die deutsche Sprache hat viele wunderbare Begriffe für eine Tätigkeit, die so ganz aus der Mode gekommen scheint. Wie schade. Denn das langsame Gehen ist nicht nur gut für den Körper, sondern auch für den Geist. „Wer geht, kann mehr sehen, er hat die Hände frei für komplexe Tätigkeiten, und er bewegt sich so sparsam fort, dass er noch Energie übrig hat – zum Beispiel für ein großes Gehirn“, so beschreibt Tobias Hürter in Zeit Wissen 3/2017 das aufrechte Gehen als eine Grundvoraussetzung für die Entwicklung des Menschen.
Gesund bleiben beim Spazierengehen
Regelmäßige Spaziergänge sollen das Risiko senken, an grünem Star, Bluthochdruck, Krebs oder Diabetes zu erkranken.
- Gehen Sie auch in der kalten Jahreszeit täglich an die frische Luft – 30 Minuten reichen schon. Das bereitet den Körper auf die Kälteperiode vor, stärkt die Abwehrkräfte, und die stufenweise Abhärtung schützt vor Erkältung.
- Das regelmäßige Spazieren trainiert auf ganz behutsame Weise. Insbesondere für die Füße ist dies wichtig, da sich Bin- de- und Stützgewebe viel langsamer aufbauen lassen als Kreis- lauf und Muskulatur.
- Gehen Sie „generationsübergreifend“ mit Kindern und Eltern. Spaziergänge sind ein wirksamer Schutz gegen Depressionen oder Demenz. Und Lernstoff, der bei einer Verdauungsrunde mit dem Nachwuchs geübt wurde, bleibt viel besser im Gedächtnis haften als am Schreibtisch erlernter. Machen Sie aus dem Spa- ziergang ein kleines Ritual! Sie werden sehen, bald schon will es keiner mehr missen.
Das Gehen und Denken der Philosophen
Die Tatsache, dass die rechte Gehirnhälfte die linke Körperhälfte steuert und umgekehrt ist die Ursache, warum wir beim Gehen so gut denken können. Die Hälften „übernehmen abwechselnd die Kontrolle über die Bewegung und die Verarbeitung von Wahrnehmungen. Immer wieder verschieben sie Informationen von einer Seite auf die andere. Dabei werden Ideen und Erinnerungen gefiltert, sortiert und neu zusammengefügt.“ Das ist nicht neu, wir haben es nur vergessen. Von den Wandelhallen der griechischen Philosophen in der Nachfolge des Aristoteles über Goethe und Rousseau bis zu Einstein oder Thomas Bernhard kennt die europäische Kulturgeschichte eine große Zahl bewusst Gehender, die sich ihre „besten Gedanken ergangen“ haben, wie es der Philosoph Kierkegaard formulierte.
Keine schnellen Schritte machen
Und noch einen Auslöser für das Verschwinden des gemütlichen Gangs haben Mediziner ausgemacht: festes Schuhwerk. Es verleitet dazu, in großen Schritten zu marschieren, fest mit der Ferse auftretend, den Körper starr nach vorne gebeugt.
Gesundes Gehen erfolgt in kleinen Schritten, idealerweise indem man mal mit der Ferse und mal mit dem Ballen zuerst auftritt. So wie das automatisch geschieht, wenn man barfuß oder mit dünnem Schuhwerk auf unbekanntem Terrain unterwegs ist, beim Schleichen oder Tanzen. Wenn das geschieht, müssen die Knie nur wenig gebeugt werden, die Beine schwingen gleichmäßig nach vorne und zurück.
Beim Gehen die Last verteilen
Wenn wir in normalem Tempo gehen, liegt unser gesamtes Körpergewicht auf dem Fuß, der gerade den Boden berührt. Dafür ist unser Körper gemacht. Erhöhen wir die Geschwindigkeit, vervielfacht sich die Last bis zum Dreifachen unseres Körpergewichts. Nicht umsonst beginnen Tiere, bei hohem Tempo zu galoppieren oder sich in großen Sätzen abzustoßen, um das Gewicht für ihren Körper besser tragbar zu machen. Auch kleine Kinder fangen automatisch an zu springen und zu hüpfen, wenn sie schnell vorwärts kommen wollen. Bei einem schnellen Gang oder gar Stechschritt im Fersengang aber belasten wir Füße und Gelenke auf übermäßige Art und Weise. Und nicht nur diese.
Wer große Schritte macht, verändert automatisch seine Haltung: Der Oberkörper wird gerundet, der Kopf nach vorne gestreckt, und schon sind auch Knie, Rücken, Nacken und Schultern in Mitleidenschaft gezogen. Das Ergebnis können schmerzende Gelenke und ein verspannter Nacken sein oder sogar Kopfschmerzen.
Vorsichtige Bewegung auf unbekanntem Terrain
Wer sich auf unbekanntem, besser noch unebenem Gelände bewegt, geht automatisch gesünder: Er macht vorsichtige kleine Schritte und bringt die Wirbelsäule dazu, die Unebenheiten des Bodens auszugleichen. Dazu müssen alle Wirbel vom Hals bis zu den Lenden zusammenarbeiten – eine Aufgabe, die wir ihnen im Alltag viel zu selten stellen. Dabei geht es den Wirbeln wie jedem Team: So richtig gut klappt die Zusammenarbeit erst mit regelmäßigem Training. Das Ergebnis ist ein frei und schmerzlos beweglicher Rücken. Wenn wir unseren Körper zu einer steifen Haltung zwingen, dann tun wir ihm nichts Gutes. Denn je weniger sich die Wirbelsäule bewegt, desto größer wird die Belastung für Knie und Hüftgelenke.
Ein Hoch auf unsere Füße
Die Bewegung des Barfußgehens beruht auf diesen Erkenntnissen, und auch wenn man nicht wie von manchen Barfußgehern gefordert den Fersengang abstellen und zu einem Schreiten wechseln kann, bei dem zuerst der Ballen den Boden berührt, sollte man seinen Füßen Aufmerksamkeit und Wertschätzung entgegenbringen.
Sie tragen das eigene Körpergewicht und übernehmen dabei die Aufgabe natürlicher „Stoßdämpfer“. Viele kleine Muskeln und Sehnen müssen zusammenspielen, damit der Fuß das schützende Fußgewölbe bilden kann, mit dem er bei jedem Schritt das Körpergewicht abfedert. Kommen die Muskeln aus der Übung oder aus der Form, bilden sich Fehlstellungen und der Fuß kann seine stützende Funktion nicht mehr wahrnehmen. Schmerzen treten auf – erst im Fuß, dann im ganzen Bewegungsapparat.
Eine Ursache für solche Fehlstellungen sind zu wenig Bewegung oder einengendes falsches Schuhwerk. Barfuß zu gehen, ist eine ganz natürliche Methode, den Fuß in Bewegung zu halten. Die Webseite www.barfuss.net sammelt nicht nur Informationen, sondern auch viele Anregungen, die richtig Lust darauf machen, die Schuhe auszuziehen und mit den Zehen zu wackeln. Lassen Sie sich davon anstecken!
Unser Tipp: Barfußgehen
Wer nicht auf Schuhwerk verzichten möchte, findet mittlerweile ein breites Sortiment an speziell angepassten Schuhen, die weitestgehend Barfuß-Feeling vermitteln, beispielsweise unter www.barfusslaufen.com.
Doch egal ob Sie in der Stadt, im Wald, mit oder ohne Schuhe, allein oder in Gesellschaft gehen, genießen Sie die langsame Fortbewegung: Flanieren und lustwandeln Sie, lassen Sie Ihren Gedanken freien Lauf, und Sie werden merken, wie gut der regelmäßige Spaziergang Ihrem Körper und Ihrer Seele tut.